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Klein aber fein

Viele Instrumente, die in die Hosentasche passen, gibt es nicht. Neben dem Rhythm Egg fällt einem sofort die Mundharmonika ein, oder auch Blues Harp genannt. Ein kleines Instrument, das es in sich hat, und trotz seiner geringen Größe eine erstaunliche Karriere hingelegt hat. Diese Karriere spiegelt nicht nur einen Teil der Musik des 20. Jahrhunderts, sondern auch die Entwicklungen der Kulturen, den Austausch untereinander, das Experimentieren mit- und das Lernen voneinander.

Geschichte

Die Entwicklung dieser kleinen Kiste beginnt im frühen 19. Jahrhundert in Dresden. Der Orgelbauer Friedrich Kaufmann begann damals mit Aeolinen zu arbeiten. Aeloninen sind kleine Stimmzungen. Hier wird ein Metallstreifen mittig durch Luft in Schwingung versetzt. Das Metallstreifen ist in einen Rahmen eingesetzt. Solche Aeolinen stellen die Basis für die Mundharmonika dar. Doch wer letztendlich die Mundharmonika erfunden hat, ist bis heute nicht sicher. Sicher ist, dass neben Dresden in mehreren Städten ähnlichen Techniken bekannt waren, so in Nürnberg, Prag oder auch Paris.

Jedenfalls trat der damals bekannte Chorleiter Franz Xaver Gebauer in den 1810 er Jahren mit der Mundharmonika auf. Doch diese Mundharmonika war eher eine Maultrommel als eine heutige Harmonika. Eingesetzt wurde das kleine Instrument in der Volksmusik oder in volkstümlichen Stücken, was sicherlich auch an seinem lustigen Klang lag.

Ab 1820 ist dann die Mundharmonika in ihrer heutigen Art erstmals in der Öffentlichkeit zu kaufen. In Deutschland in Braunschweig oder im österreichischen Wien. Dieses kleine Ding, gerne auch als Ohrenquäler bezeichnet, wurde binnen weniger Jahre ein echter Verkaufshit. Bereits 1827 wurden rund eine halbe Millionen Stück in Wien verkauft.

In Deutschland baute ab 1827 Christian Messner die erste Trossinger Mundharmonika, benannt nach der Stadt Trossingen in Baden-Württemberg. Kurz darauf gründete er erfolgreich ein Unternehmen zum Bau von Harmonikas. Dieses wurde später von der Firma Matthias Hohner AG übernommen. Diese wiederum ist weltbekannt.

Die Blues Harp

Parallel zur weltweiten Verbreitung der Mundharmonika entwickelte sich die Blues Harp als charakteristisches Element des amerikanischen Blues. In den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entdeckten afroamerikanische Musiker in der Mundharmonika ein flexibles Ausdrucksmittel, um tiefe Emotionen und authentische Lebensrealitäten zu vermitteln. Durch gezielte Techniken wie das Bending erhielt die Bluesharp ihren markanten, rauen Klang, der die Seele des Blues widerspiegelt. Dieses Spielverfahren trug dazu bei, dass das Instrument rasch zu einem Symbol für Improvisation und kreative Freiheit wurde.

Bis heute gilt das Instrument als das meistgebaute der Welt. Ihr Vorbild war übrigens die Chinesische Sheng, ein traditionelles Instrument, das zu den Mundorgeln gehört. Ihr Korpus ist ein kleiner Kasten mit mehreren Bambus- und Metallpfeifen. Mit ihrer Geschichte von über 3000 Jahren ist sie ein sehr altes Instrument.

Prinzip

Die Mundharmonika, die Sheng und die Blues Harp gehören allesamt zu der Familie der Aerophone. Diese Klassifizierung basiert auf der Systematik nach Hornbostel und Sachs, zwei Autoren, die 1914 mit der Veröffentlichung “Systematik der Musikinstrumente. Ein Versuch” das heute am weitesten verbreitete System zur Einteilung von Musikinstrumenten kreierten.

Der Hauptteil einer Mundharmonika ist der Kanzellenkörper oder auch Kamm genannt. Unter einer Kanzelle versteht man eine kleine Luftkammer. Der Begriff kommt aus dem Orgelbau. In der Kanzelle wird die Atemluft “kanalisiert” und zu den Stimmzungen geführt. So entsteht prinzipiell der Ton in einer Mundharmonika. Es gibt zwei Hauptarten dieses ungewöhnlichen Instruments.

Die chromatische Mundharmonika

Hier ist zunächst die chromatische Mundharmonika zu nennen. Sie kann mittels eines eingebauten Schiebereglers alle Halbtöne abdecken, weswegen sich dies auch in ihrem Namen niederschlägt. Mit dieser chromatischen Harmonika können eigentlich sämtliche Arten westlicher Musik gespielt werden.

Die diatoniosche Mundharmonika

Im Gegensatz dazu steht die diatonische Mundharmonika. Sie deckt, wie der Name schon andeutet, nur die leitereigenen Töne einer Tonart ab, keine Halbtöne. Sie hat sich vor allem im Blues durchgesetzt und ist so als Blues Harp bekannt geworden. Unterarten von ihr sind die Richter-Mundharmonika, die Tremoloharmonika und die Oktavmundharmonika.

Wichtig ist für die Arbeit mit der diatonischen Mundharmonika, dass sie immer eine Quart höher gedacht werden muss. Wenn ein Mundharmonikaspieler zu einem Stück in C-Dur spielen soll, muss er sein Instrument in F auswählen. In der Regel hat ein solcher Spieler auch immer eine Auswahl an Instrumenten für jede Tonart dabei. Als Produzent muss man hier immer auf zwei Ebenen denken, so wie bei der Arbeit mit Bläsersätzen.

Es gibt zwei wesentliche Spieltechniken

  1. Die Spitzmund-Technik
  2. Das Spielen mit abgedeckter Zunge.

Die Spitzmundtechnik erinnert an das Pfeifen, bei dem man den Mund zuspitzt. Bei der Mundharmonika wird die Luft gezielt in einen Tonkanal geblasen, um so einen sauberen Einzelton zu spielen.

Beim Spiel mit abgedeckter Zunge werden mehrere Tonkanäle abgedeckt und die Luft durch den rechten Mundwinkel geblasen. Das Spiel kann so angereichert werden.

Die Zungenschlagtechnik basiert auf dieser Technik. Hier hebt und senkt der Spieler im jeweiligen Takt des Stückes die Zunge über dem Mundstück. Sie eignet sich sowohl zur Begleitung als auch zum Melodiespiel.

Mit der Bendingtechnik kann das Spiel erweitert und Töne moduliert werden. Hier wird durch Veränderung des Mundraumes beim Spielen die Tonhöhe verändert. Sie ähnelt der gleichnamigen Technik auf der Gitarre. Auf beiden Instrumenten wird diese Technik vor allem im Blues angewendet. Sie ist sehr ausdrucksstark und individuell geprägt.

Bekannte Stücke

Die wohl bekannteste Melodie stammt aus dem Soundtrack des Films “Spiel mir das Lied vom Tod” aus der Feder des Komponisten Enio Morricone. Es ist stilprägend und bestimmt zu einem Großteil die Wahrnehmung des Instruments. Natürlich verbindet man die Westernthematik damit. Auch sind Filmthemen von John Barry zu nennen, wie in manchen James Bond-Filmen oder des Thema in “Midnight Cowboys” von 1968.

Besonders populär ist sie im Popbereich durch Stevie Wonder geworden, der meisterhaft die chromatische Harmonika spielt und einen ganz eigenen Klang entwickeln konnte. So hat er auch auf vielen Produktionen anderer Künstler Mundharmonika-Soli eingespielt. Hier ist ein sehr schönes Beispiel der Track “There Must Be An Angel” von der britischen Band Eurythmics aus dem Jahr 1987.

Für einen Popularitätsschub der Bluesharp hat auch 1981 der Film  Blues Brothers mit seinem Soundtrack und vielen Filmsezenen gesorgt. “She Caught The Katy” oder “Flip Flop And Fly”, dessen Intro, von Dan Aykroyd gespielt, die Blues Harp im typischen Sound zeigt, sind hier zu nennen.

Hier ist eine Liste bekannter Hits mit Mundharmonika aus den letzten Jahrzehnten:

“Love Me Do” von The Beatles (1963)

“Mister Tambourine Man” von Bob Dylan (1965)

“Heart Of Gold” von Neil Young (1972)

“Piano Man” von Billy Joel (1973)

“Long Train Runnin’ ” von The Doobie Brothers

“Boogie On Reaggae Woman” von Stevie Wonder (1974)

“Miss You” von The Rolling Stones (1978)

“Charma Chameleon” von Culture Club (1983)

“Dirty Old Town” von The Pogues (1985)

“Life Is A Highway” von Tom Cochran (1987)

“Mary Jane’s Last Dance” von Tom Petty (1993)

“Timber” von Pitbull feat. Keisha (2013)

“Electric Worry” von Clutch (2015)

In der TV-Musik ist dieses kleine, erstaunliche Instrument präsent. In deutschen TV-Produktionen hörte und hört man sie, um eine ländliche oder warme, familiäre Atmosphäre zu erzeugen.

So trägt sie als Melodieinstrument die Titelmusiken mehrerer deutscher TV-Serien der 1980 er Jahre wie “Der Landarzt”, “Liebling Kreuzberg” oder “Ich heirate ein Familie”. In aktuelleren Soundtracks verschiedener Krimiserien wie “Die Rosenheimcops” oder “Wilsberg”, in denen Szenen gerne mit einem bluesigen Acoustic-Sound unterlegt werden, hat sie  ihre Momente, wie auch in der Titelmelodie der US-Serie “Ein Grieche erobert Chicago”  aus den 1980 er Jahren.

Fazit

Die Mundharmonika hat durch Fusionen mit Blues, Volksmusik, Jazz, Rock und Pop immer neue Ausdrucksformen gefunden. Heute verbindet sie Tradition und Innovation, sodass ihr Erbe lebendig und zukunftsweisend bleibt. Was an vielen bekannten neuen Spielern wie Chris Kramer, Amanda Ventura, Michael Hirte oder Indiara Sfair deutlich wird.

So bereichert die Mundharmonika die Musiklandschaft und inspiriert weiterhin kommende Generationen auf ganzer Welt.

Beitragsbild: Christian Jahl

Beitragsfoto: Canva

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