In der Rolle des Fans eines Films wie Notting Hill befindet man sich in der einer dankbaren Position. Man kann sich einfach zurücklehnen und die Geschichte und die Musik genießen, während man die Bilder auf sich wirken lässt. Doch nicht nur die Bilder lässt man auf sich wirken, sondern auch, manchmal sogar besonders, die Musik und der ganze Soundtrack eines Films. Sie begleiten einen Film im besten Fall unmerklich, aber doch so intensiv, dass sie die Bilder intensiver erleben lässt. Sie sollten wichtige Momente verstärken und dort, wo Worte fehlen, diese in Melodien verwandeln und die Sprache ersetzen. Als Kinobesucher hat man bei einem Film aber nur manchmal das Glück, dass die Geschichte, der Ort der Handlung, die Charaktere und die Musik wie aus einem Guss erscheinen und sich alle Elemente wie durch Magie zusammenfügen. In diesem Moment wird man vom bloßen Kinobesucher zum Fan eines Films.

 

25 Jahre Notting Hill

Notting Hill erfüllt all diese Prämissen und feiert 2024 seinen 25. Geburtstag. Diese romantische Komödie von 1999, die eigentlich nicht mehr vorgestellt werden muss, wurde weltweit zu einem großen Kassenerfolg, erhielt mehrere Golden Globe Nominierungen und Preise. Auch der Soundtrack verkaufte sich ungefähr drei Millionen Mal.

Mit Hugh Grant und Julia Roberts in den beiden Hauptrollen perfekt besetzt, versprüht Notting Hill auch heute noch seinen Charme mit seiner Mischung aus sympathischem urbanen Chaos, Freundschaft und der großen, unerwarteten Liebe. Dieser Mischung kann man sich nur schwer entziehen. Nicht nur, weil sich in beinahe jedem Dialog intelligenter Wortwitz zeigt, der vor dem Hintergrund des nostalgischen Stadtviertels Notting Hill eine unwiderstehliche Wirkung entfaltet, sondern auch, weil die Liebesgeschichte zwischen Anna und William ungekünstelt in das Setting eingewoben ist.

Allein die kleine, etwas aus der Zeit gefallene Buchhandlung und das Wohnhaus mit der blauen Tür des ebenfalls aus der Zeit gefallenen Protagonisten William Thacker sind in Notting Hill bestens aufgehoben. Seine erste Begegnung mit Anna Scott, dem großen Filmstar, zieht seine Wirkung vor allem aus dem Kontrast zwischen der großen weiten Welt, symbolisiert durch Anna, und der kleinen, vermeintlich unbedeutenden Welt des Buchladens in dem kleinen, alten Stadtteil Notting Hill, vertreten durch William, der sich mit einem kleinen Bücherdieb und schlechten Verkaufszahlen herumschlagen muss. In einer großen, erfolgreichen und geordneten Buchhandlung im vornehmeren Zentrum Londons, wäre diese Wirkung vermutlich verpufft.

 

Spike, Honey und die anderen in Notting Hill

Auch die weiteren Charaktere, wie beispielsweise Williams Schwester Honey und sein Room-Mate Spike, dargestellt von dem kongenialen Rhys Irfan, passen nach Notting Hill. Wirken sie doch wie der menschgewordene Notting Hill Carnival, der jährlich dort stattfindet und eine Institution im Veranstaltungskalender der Metropole ist. Sie sind beide etwas schräg, verrückt in ihrer Kleiderwahl und dabei doch so liebenswert, dass man sich auf jede Szene mit ihnen freut. Den Kontrast zu den beiden bilden Williams beste Freunde, das Ehepaar Bella und Max. Beide sind eher konservativ und vor allem Max „very British“. Lovely!

Somit sind die Elemente Geschichte, Ort der Handlung und die Charaktere so stimmig angelegt, dass die Chancen groß sind, nicht mehr nur bloßer Kinobesucher zu sein. Doch wie sieht es mit der Musik aus? Komplettiert sie das Gesamtpaket so, um auch tatsächlich Fan zu werden?

 

Die Songs auf dem Soundtrack

She

Es genügt eigentlich mit She darauf zu antworten und die Musik des Films zu beschreiben. Nicht nur ist She der Song, der im Vorspann zu hören ist, sondern auch die Verdichtung der Story auf das eine Wort She. Elvis Costellos Song ist somit als Einstieg perfekt und gibt direkt den Ton vor. Dieser Ton ist romantisch, melancholisch, doch gleichzeitig durch die Tonart Des-Dur auch hell und positiv.

Das Stück ist mit seiner anspruchsvollen Gesangsmelodie, die Costello in seiner unverwechselbaren Art dynamisch und gefühlvoll interpretiert, voller Abwechslung und in ein passendes Arrangement mit Violinen, Celli und Horn eingebettet. So kann es im Kino seine Wirkung voll entfalten. Diese opulente Instrumentierung unterstreicht das Lyrische-Ich in dem Text mit der großen Bedeutung der Liebe zu seiner Angebeteten. Was kann da noch kommen?

 

Ain’t no sunshine

Nun, vor allem weitere hochklassige Songs, allen voran Ain’t no sunshine von Bill Withers. Ähnlich wie She hebt auch hier das Lyrische-Ich die Bedeutung seiner Liebe hervor, die hier jedoch verloren ist. In dem Film untermalt das Lied eine Kollage-artige Sequenz, in der William von Anna bereits zum zweiten Mal verlassen wurde und er in trauriger Stimmung über den bekannten Antiquitätenmarkt von Notting Hill schlendert. Hierbei wechseln im Hintergrund die Jahreszeiten, um den zeitlichen Sprung zum folgenden Jahr darzustellen. So wie in dem Song das Lyrische-Ich hat auch William seine Geliebte verloren. Für ihn scheint nicht mehr die Sonne, da alles kalt und dunkel ohne sie ist.

Bill Withers Song, damals schon ein Klassiker der Soulmusic, ist in melancholischem a-moll gehalten und knüpft im Arrangement mit Streichern an She an, wenn auch etwas sparsamer. Mit seinem Groove versprüht es aber gleichzeitig eine coolere Atmosphäre und ist ein gutes Beispiel, wie ein einzelner Song ganze Sequenzen eines Films tragen kann.

 

When you say nothing at all

Ebenso wie She und Ain‘ no sunshine greift auch ein weiterer Titel das Thema Liebe auf, aber unter anderen Vorzeichen: When you say nothing at all von Ronan Keating. Das Lyrische-Ich singt das Lied nämlich als eine Art Kompliment an seine Geliebte, der er für ihre Liebe danken will. So erklingt der Song im Film auch an den Stellen, in denen Anna und William harmonisch zusammen sind. Im Arrangement fällt bei dem Song der Zeitgeist der späten 90er Jahre ins Ohr.

Denn mit der Akustikgitarre, Flöte, Shaker, Piano und Xylophon zitiert das Stück im Soloteil für die Flöte atmosphärisch den damals populären Titanic-Soundtrack und bringt ein wenig Lokalkolorit von den britischen Inseln in die Musik. Auch der Chorgesang und insgesamt vorherrschende Folk-Pop Sound klingt im Sound dieser Jahre und erinnert beispielsweise an die irische Band The Corrs, die zu der Zeit sehr populär war. Lovelier!

 

Die Musik des Filmscores

Doch nicht nur diese drei Songs fügen sich harmonisch in das Gesamtbild. Auch die anderen Songs wie Gimme some lovin‘ von The Spencer Davies Group passen in ihren jeweiligen Szenen ebenso in das Gesamtbild der Musik. Soviel zu den Songs des Soundtracks.

Wie sieht es aber mit einem Score aus, also eigens komponierter Musik, ohne die ein solcher Film nicht auskommt?  Sie gibt es natürlich auch. Der südafrikanische Komponist Trevor Jones zeichnet mit den Titeln Will and Anna und Notting Hill verantwortlich.

 

William and Anna

Mit dem gefälligen und harmonischen Leitmotiv in E-Dur aus der ersten Komposition William and Anna schafft er einen Wiedererkennungswert, der durch den Film führt. Durch ver-schiedene Instrumentierung und Timbres schafft Jones es, an wichtigen Stellen im Film die Geschichte dichter werden zu lassen, die Teile noch stärker miteinander zu verbinden, auch wenn der Kitt manchmal etwas zu glatt, vielleicht sogar schmalzig ist.

Nichtsdestotrotz sind atmosphärisch in der Komposition viele Stimmungen enthalten, die geschickt eingesetzt werden. Melancholie, Traurigkeit, Freude und Wärme wechseln durch geschmackvolle Dur- und Mollwechsel oder Akkordfärbungen. Man merkt, dass hier ein versierter Filmmusik-Komponist arbeitet.

 

Notting Hill

In Jones‘ zweitem Titel Notting Hill, bei dem zunächst stilecht die Klassische Gitarre dominiert und das bekannte Leitmotiv spielt, zieht er im weiteren Verlauf mit einer poppigeren Instrumentierung aus Westerngitarre, Piano und Percussion soundmäßig eine Verbindung zu When you say nothing at all, während das Leitmotiv rhythmisch verkleinert wird und auch den Off-Beat nutzt.

Als Zuschauer hat man so immer wieder unbewusst das Gefühl, dass alles passt und miteinander verbunden ist, musikalisch, inhaltlich, atmosphärisch. Denn gleiche oder ähnliche Elemente werden musikalisch immer wieder aufgenommen und weben so ein dichtes Geflecht aus Songs und komponierten Stücken, das den Film trägt.

 

Alles passt!

An diesem Punkt kann man sagen, ist das Paket mit Handlung, Schauspielern und Musik perfekt geschnürt. Man wird vom Kinobesucher zum Fan, zumindest ging es mir so.

Ich lebte zu der Zeit für ein Auslandssemester in London und konnte eine der ersten offiziellen Vorstellungen dort sehen konnte. Von dem Film wusste ich im Vorfeld nichts, außer dass Hugh Grant und Julia Roberts die Hauptrollen hatten. Ich wurde glücklicherweise nicht enttäuscht.

In Notting Hill hörte man übrigens damals die Leute oft über den Film sprechen. Sie mochten den Film und waren stolz. Ich habe dagegen immer Ringo Starr und das Haus mit der blauen Tür gesucht, das mehr oder weniger der wichtige Mittelpunkt der Geschichte war. Ringo konnte ich wie Martin, Williams Mitarbeiter aus dem Buchladen, leider nie finden. Aber die blaue Tür samt Haus habe ich nach einigem Suchen schließlich gefunden und konnte mich dann bei einem weiteren Kinobesuch als Fan zurücklehnen und die blaue Tür auf der Leinwand in echt genießen. Loveliest!

 

Anspieltipps:

  • She
  • Ain’t no sunshine
  • When you say nothing at all
  • William and Anna

Beitragsbild: Christian Jahl

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